Unterschiedliche Richtlinien für die Medikamentenverschreibung sind patientenfeindlich

Jul 20, 2012         Kategorie: Medizin

NÖ Ärztekammer: Bevor an E-Medikation auch nur gedacht wird, muss der bestehende Bewilligungsdschungel für Medikamente gelichtet werden
Wien (OTS) – Herr Manfred F. ist Krebspatient. Damit die
Nebenwirkungen der Chemotherapie halbwegs erträglich werden, wird
Herr F. im Krankenhaus auf ein Medikament A eingestellt. Bei der
Nachbehandlung folgt die Ernüchterung: Medikament A wird im
niedergelassenen Bereich nicht bewilligt. Vorschlag der Kasse:
Billigeres Medikament B mit gleichem Wirkstoff. Arzt verschreibt.
Medikament nicht mehr lieferbar. Neuer Vorschlag der Kasse:
Medikament C mit gleichem Wirkstoff. Arzt verschreibt. Medikament
noch nicht lieferbar. Neuer Vorschlag der Kasse: Ähnliches Medikament
D, anderer Wirkstoff. Arzt verschreibt. Medikament verfügbar. Aber
Patient muss neu eingestellt werden und braucht eine wesentlich
höhere Dosis. Fazit: Herr F. muss über mehrere Tage die
Nebenwirkungen der Chemotherapie, wie starke Schmerzen,
unnötigerweise ertragen. In der Ordination des behandelnden Arztes
ist ein enormer Bürokratieaufwand entstanden. Medikament D in der
höheren Dosis verursacht höhere Kosten als durch Medikament A
entstanden wären.

Forderung nach gleichen Ökonomierichtlinien im Krankenhaus und in der Niederlassung
Eine erfundene Geschichte aus einem menschenfeindlichen
Gesundheitssystem? “Leider täglich mehrfach gelebte Praxis in
Niederösterreichs Ordinationen”, klärt der Niederösterreichische
Ärztekammerpräsident, Dr. Christoph Reisner, auf. “Diese Auswüchse
des Systems sind grober Unfug sowie menschenfeindlich und sollten
daher schleunigst abgestellt werden.”
Aus seiner Sicht hätte es die Politik in der Hand, diesen
Missstand ohne gröbere Umstellungen im System sofort abzustellen.
”Wir weisen seit Jahren darauf hin, dass wir die gleichen
Ökonomierichtlinien im Spital und in der Niederlassung brauchen. Es
hat keinen Sinn, wenn im Spital komplett anders verschrieben werden
muss als in der Niederlassung”, so Dr. Reisner.

Eine hausgemachte groteske Situation, die von der Politik gelöst werden muss
“Wieso denkt niemand in der Politik daran, die banalen Grundlagen
eines vernünftigen Medikationssystems zu hinterfragen und auf
tragfähige Beine zu stellen”, fragt sich Dr. Martina Hasenhündl,
stellvertretende Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzte. Sie
erläutert, wie es zu der beschriebenen, grotesken Situation kommen
kann: “Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte unterliegen im Bereich von
Kassenpatienten bei Verschreibungen dem so genannten
Erstattungskodex. Das bedeutet, dass man sich bei der Verschreibung
an dem jeweils günstigsten Medikament orientieren muss. Die teuren
Medikamente, zumeist Originalpräparate, werden von der Kasse nicht
bezahlt.”
Grundsätzlich stellt dieses Ökonomiegebot für die Ärztinnen und
Ärzte kein Problem dar, wenn es sich um Neueinstellungen von
Patienten handelt. “Wir unterstützen den Gedanken sogar. Schließlich
geht es um unser aller Geld. Doch wenn Patienten aus den Spitälern
mit Medikamenten kommen, die in der Niederlassung nicht
weiterverschrieben werden dürfen, dann treten Probleme auf”, so Dr.
Hasenhündl.

Wo bleibt die Stimme des so genannten Patientenanwalts?
Die Pharmafirmen wissen das natürlich und versuchen, ihre
Präparate im Krankenhaus an den Mann zu bringen. “Diese Praktik des
”Anfütterns” bewirkt dann tatsächlich, dass die Medikamente teilweise
in der Niederlassung weiterverschrieben werden, weil es nicht anders
geht. Was bleibt, sind enorme menschliche Probleme, Ärztinnen und
Ärzte in Verantwortung für “teure” Verschreibungen, unendlicher
bürokratischer Aufwand und ein volkswirtschaftlicher Schaden.
Wo bleibt in dieser Angelegenheit die Stimme des so genannten
Patientenanwalts? Er steht auf der Gehaltsliste des Landes
Niederösterreich, also des Spitalserhalters. Daher sollte er doch
auch einen idealen Zugang zur Lösung dieses menschen- und
patientenfeindlichen Problems haben. Bevor wir an E-Medikation
überhaupt nur denken, müssen die Ökonomierichtlinien angepasst und
der Bewilligungsdschungel für Medikamente gelichtet werden. Dazu
bedarf es weder technischer Hilfsmittel oder einer großen Reform,
sondern einfach nur sachorientierter und mutiger Politik”, so
Präsident Dr. Reisner abschließend.

 

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