Mediale Krankheiten – Beispiel EHEC

Jan 6, 2012         Kategorie: Medizin, Politik + Wirtschaft

 Ärztliche und mediale Macht – eine “unheilige” Allianz?

Der Gesundheit darf sich alles unterordnen – auch das Geld. Das dürfte wohl kaum bestritten werden, schließlich ist man bei schwerer Krankheit wohl bereit, sein letztes Hemd herzugeben. Aber darf sich die Gesundheit dem Geld unterordnen? Diese Frage wird immer wieder im Zusammenhang mit Medikamenten, Behandlungsmethoden und politischen Wünschen diskutiert. Nun gibt es einen Anlassfall, der diese Frage neuerlich aufwirft – die EHEC-Epidemie. Diese wirft ein schiefes Licht auf die Informationspolitik der Ärzte, der Politiker und auf die Medien insgesamt – das meinen zumindest geschädigte Gurken- und Tomatenbauern. Aber auch Ärzte schließen sich der Kritik an: „Das ist wie die Vogel- und die Schweinegrippe: eine mediale Blase“, meint ein Allgemeinmediziner verärgert.

Österreichs praktische Ärzte werden nun gehäuft mit der Frage konfrontiert „Hab ich eine EHEC-Infektion?“ Angefangen hat es mit einigen Erkrankungen im Norden Deutschlands. Bald waren es knapp 2.000 Infizierte und die Quelle des Übels blieb lange im Dunkeln. Die Empfehlungen und Ratschläge der Verantwortlichen hatten fatale Folgen. Nur der vagen Vermutungen wegen, verzichteten Millionen Konsumenten auf den Genuss von Salatgurken, Salaten, Tomaten, Sprossen und Gemüse insgesamt. Die gesundheitlichen Schäden des plötzlichen Vitaminverlusts interessierte niemanden.

Kritik an Datenmanagement

Empiriker wundern sich über die Medienhetze gegen Salat, Gurken und Tomaten. Bei rund 2.000 Betroffenen gäbe es wohl ausreichend Material um Korrelationen zu messen. Ausführliche Fragebögen wie auch intensive Interviews schienen aber gefehlt zu haben. Die Krankheit ist nur schwer ansteckend, also müssen die EHECBakterien von außen zugeführt worden sein.

Kritik wurde laut – der ärztliche Direktor der Berliner Charité kritisierte die Arbeit des für die Verlautbarungen zuständigen Robert- Koch-Instituts. Der Experte der WHO Donato Greco meinte gegenüber der italienischen La Republicca, dass überhaupt an der falschen Stelle gesucht wird, weil es unwahrscheinlich sei, dass die Keime auf Obst und Gemüse vorkommen, sondern vielmehr bei Rindern, Ziegen oder Schafen als Quelle gesucht werden sollte.

Mediale Hetze gegen spanische Gurken

Wie immer, wurde ein Sündenbock gesucht und gefunden. Zuerst waren es die spanischen Gurken – zum Leidwesen der Gurkenbauern, die völlig unschuldig zum Handkuss kamen. Dann war es ein norddeutscher Sprossenproduzent der – wie in einer Pressekonferenz der „Experten“ des Robert-Koch-Instituts mit hoher Wahrscheinlichkeit als Verursacher in Frage käme, was sich später auch bestätigte. Auf der Strecke blieben nicht nur spanische Gurkenbauern, sondern der Gemüsehandel insgesamt – und zwar in weiten Teilen Europas.

Sogar in Österreich brachten die von Interessensvertretern als überzogen bezeichneten Warnungen viele Firmen unter Druck. Tonnen von Salatgurken wurden vernichtet. Eine Kleinstunternehmerin, die von der Sprossenproduktion lebt, berichtete im Ö3- Interview, dass es Stornierungen bei Bestellungen gab und sie Angst hat, dass ihre Existenz gefährdet ist.

Da nütze es wohl wenig, als die EU Grosszügigkeit signalisierte und 150 Millionen Euro für die betroffenen und geschädigten Bauern zur Verfügung stellen möchte, wenn die Zukunft verbaut ist.

Schlechte Informationspolitik 

Die Informationspolitik der Experten und der Politik wurde weitläufig und breit kritisiert. Die einen sahen ein Zuwenig und Tatenlosigkeit an Handlungen und forderten im Zuge dessen verschärfte Kontrollen, was durchwegs politisch motivierte Kritik war, die anderen – meist hinter vorgehaltener Hand – sahen in der aufgebauschten Berichterstattung bewusste Panikmache. Ein nicht genannt werden wollender Arzt meinte dazu: „Mich würde nicht wundern, wenn jetzt neue teure Testverfahren oder Medikamente auf den Markt kommen. Das erinnert mich an den Film ‘Der Hades-Faktor’.“

Polemische Äußerungen sind bei Todesfällen immer problematisch, versucht der Kritiker seine Aussagen zu relativieren, verweist aber auf die noch bekannten Fälle der Schweine- oder Vogelgrippe, die sich mehr oder weniger in Luft auflösten, wohl aber dem einen enorme Kosten verursachten und dem anderen enorme Erträge brachte, so dass Experten wie Tom Jefferson von der Cochrane Collaboration mit begründeten Argumenten Kritik üben.

Sensationsgier und Profiteure?

Die Themen machen die Medien. Hätte kein Massenmedium über die EHEC-Epidemie berichtet, hätte es sie gar nicht gegeben. Nun haben über dreißig Todesfälle eine europaweite Angst verursacht, die von verschiedensten Stellen weiter geschürt wurde. Da war einmal das Robert-Koch-Institut, das im Sinne der eigenen Aufgabe natürlich informieren musste. Die Frage ist nur, wie das erfolgt. Auch die Repräsentanten wussten, dass sie nur dann entsprechendes Gehör finden würde, wenn die Tonalität einen sensationellen Charakter enthält. Früher hat wohl niemand den Namen des RKI-Chefs Reinhard Burger gekannt, heute ist auch sein Institut in aller Munde. Politiker haben es ohnehin „im Blut“, sich bei Katastrophen und anderen Sensationen zu Wort zu melden, auf wirkliche oder vermeintliche Fehler oder Missstände hinzuweisen um dann sich selbst ins rechte Licht zu rücken.

Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit

Jeder Tote ist einer zu viel. Aber jeder weiß auch, dass der Tod nicht vermeidbar ist und dass Geschwächte, ungesund Lebende und Risikopatienten weit weniger widerstandsfähiger sind als Menschen, die gesund leben und sich gesund ernähren. So gesehen treffen die meisten Krankheiten erst einmal die Schwachen, die im Einzelfalle ihren Anteil an Verantwortung tragen. Nun sind bedauerlicherweise mehr als 30 Menschen an dem EHEC-Bakterien verstorben. Natürlich sind es um diese Zahl zu viel. Gleichzeitig – um in Deutschland zu bleiben – versterben jährlich 30.000 Menschen an Krankenhaus-Infektionen. Dies hat weder die Politiker noch die Gesundheitswirtschaft zu ähnlichen Reaktionen hinreißen lassen, wie der aktuelle EHEC-Fall zeigte. Ein anderes Beispiel: In Österreich versterben jährlich rund 10 Menschen an einer Meningokokken- Infektion – rechnerisch wären das für Deutschland rund 100 Personen, ohne dass die Medien so intensiv berichten. Noch ein Vergleichswert: Bei einer normalen Grippewelle sterben in Deutschland zwischen 8.000 und 11.000 Menschen mehr als statistisch erwartet wäre – in Extremfällen kann die Zahl alleine bei einer Grippewelle auf bis zu 30.000 steigen.

Foto: 123rf/Mcherevan

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