Krankheit wird volkswirtschaftlich wertvoller als Gesundheit
Vortragsabend des Österreichischen Hausärzteverbandes: Buchautor Prof. Dr. Paul U. Unschuld warnte vor Abwertung des Ärztestandes
“Wir befinden uns in einem gesellschaftlichen Prozess der Deprofessionalisierung, also gleichsam einer Entmündigung des Ärztestandes”, betonte Prof. Dr. Paul Unschuld, Direktor des Horst-Görtz-Stiftungsinstitutes an der Charité in Berlin, der auf Einladung des Österreichischen Hausärzteverbandes sein Buch “Ware Gesundheit. Das Ende der klassischen Medizin” erstmals in Wien präsentierte. Dadurch sei es der Ärzteschaft bisweilen nicht mehr möglich ihr ursprüngliches Mandat auszuüben, nämlich für die gesundheitlichen Interessen der Gesamtbevölkerung einzutreten.
Ökonomische Interessen im Fokus
Fachliches Wissen stehe nicht mehr im Vordergrund, viel mehr
erfolge die Ausrichtung an ökonomischen Faktoren, so Unschuld. Nicht
mehr bestmögliche medizinische Versorgung sei somit die Prämisse,
sondern eine so genannte gewinnorientierte Gesundheitswirtschaft mit
Entscheidungsträgern, die nicht über die nötige fachliche Ausbildung
verfügen. “Medizin wird zum Konsumgut und damit Krankheit
volkswirtschaftlich wertvoller als Gesundheit. Patienten werden zu
Kunden, Ärzte zu Dienstleistern und letztlich zu Erfüllungsgehilfen
ökonomischer Interessen”, hieß es beim Vortragsabend der Hausärzte.
“In dieses Spannungsfeld, in dem nach Gewinn strebende
Krankenkassen und private Investoren vorherrschen und die Politik
sich zurücklehnt, gerät der Patient. Er kann sich nicht mehr sicher
sein, ob die vorgeschlagene Behandlung wirklich die beste oder nur
die wirtschaftlich günstigste ist”, fürchtet Prof. Dr. Unschuld. Auf
sich allein gestellt, verlange der Patient nach Behandlungsmethoden
und Medikamenten, die ihm als Erfolg versprechend in Werbung und
Medien vorgestellt werden. Oft ohne den Absender dieser Informationen
überhaupt zu erkennen, seine Intention, geschweige denn seine
fachliche Kompetenz prüfen zu können. Krankenversicherungen nehmen
Einfluss auf das Verordnungsverhalten, Investoren entscheiden über
die Kosten-Nutzen-Relation von Behandlungen. “Eine neue Epoche hat
begonnen”, so der Vortragende.
Gesundheitswesen wird zum Markt
Die individuelle Arzt-Patienten-Beziehung wird dabei immer weiter
aufgebrochen; medizinische und ethische Prinzipien werden zugunsten
ökonomischer Kriterien eingeschränkt. An die Stelle eines
vertrauensvollen Dialoges tritt ein gigantisches Datensammelsystem,
das unzähligen Institutionen in ganz Österreich den legalen Zugriff
auf sensible Patientendaten ermöglicht”, betonte Dr. Christian Euler,
Präsident des Österreichischen Hausärzteverbandes. Das
Gesundheitswesen werde somit primär zu einem Markt mit lohnenden
Investmentangeboten.
Der Österreichische Hausärzteverband warnt schon seit Jahren vor
den Folgen der Sichtweise, Patienten als lukrative Kunden statt als
Heilungsbedürftige zu betrachten. Krankheit wird bei dieser
Denkhaltung zur Ressource und Gesundheit zur Ware, die an jeden
verkauft wird, der sie sich leisten kann.
Weitere Informationen siehe www.hausaerzteverband.at
OTS0091 2012-06-28 11:00 281100 Jun 12 HAU0001 0399